Suche
  • Fachinformationsdienst für
  • Niederlandistik, Niederlande-, Belgien- und Luxemburgforschung
Suche Menü

Call for Papers: Emotionsgeschichtliche Perspektiven auf regionale Unabhängigkeitsbewegungen

Grafik Call for Papers

Internationale Tagung: „Große Gefühle“ im Kampf um den „eigenen Staat“. Emotionsgeschichtliche Perspektiven auf regionale Unabhängigkeitsbewegungen am 11. und 12. November 2022 in Brixen/Bressanone (Südtirol)

Deadline: 15. März 2022

Nationale Unabhängigkeitsbewegungen und regionale Separatismen sind Phänomene, die sich parallel zum europäischen Einigungsprozess und dem vermeintlichen Bedeutungsverlust nationalstaatlicher Souveränität unvermindert ihren Weg bahnen. Gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten haben diese (alten und neuen) Nationalismen und Regionalismen ein beträchtliches Maß an Zulauf sowie große internationale Medienaufmerksamkeit erhalten. Es genügt der Verweis auf die bekannten Krisenherde in Katalonien und Schottland oder verschiedene ost- und südosteuropäische Regionen. Die sich zusehends radikalisierende Forderung nach Unabhängigkeit bzw. Eigenstaatlichkeit stellte den Imperativ staatlicher Integrität und die damit verbundenen Disziplinierungsinstrumentarien vor große Herausforderungen. Darüber hinaus führten diese wie auch immer gearteten Separatismen aber auch zu unverkennbaren innergesellschaftlichen Konflikten und politischen Polarisierungsprozessen, die tiefe gesellschaftliche Spaltungen nach sich zogen und neue soziale Fronten provozierten.

Angesichts dieser Entwicklungen ist nicht zuletzt auch die Geschichtswissenschaft gefordert. Sie muss lang-, mittel- und kurzfristige Erklärungen heranziehen und miteinander verbinden, um plausibel zu machen, wie es zum Wiederaufleben ethnopolitischer Konflikte im ausgehenden 20. und 21. Jh. kommen konnte. Der Nationalstaat schien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein zwischen ‚lokalen‘ und ‚europäischen‘ Bezugsgrößen eingehegtes Auslaufmodell zu sein. Nun drohen dem Nationalstaat ausgerechnet nationalstaatliche Binnenkonkurrenten zum Verhängnis zu werden. Die skizzierte Entwicklung macht es deshalb notwendig, neu über die Bindekraft von Nationalstaaten, ihre Webfehler und zentrifugalen Kräfte sowie das Verhältnis dieser Staaten zur EU nachzudenken. Zudem muss die Historiographie auf die erhebliche Instrumentalisierung der Geschichte zur Legitimation der Unabhängigkeitsbewegungen reagieren. Angesichts der florierenden Mythenbildungen ist das Falsifizierungspotential der Geschichtswissenschaft gefordert.

Regionale Separatismen und Unabhängigkeitsbewegungen waren in den Geschichtswissenschaften vor allem im Rahmen politik- bzw. diplomatiegeschichtlicher oder minderheitenhistorischer Perspektiven sowie auch im Kontext der modernen Nationalismusforschung ein Thema. Dementsprechend überwogen in der Forschung lange
struktur-, organisations- und (eher konventionelle) politikgeschichtliche Zugänge. Im Vordergrund standen die Fragen nach den konkreten Interessen und Forderungen dieser Bewegungen, nach Strukturen, Inhalten und Diskursen des (vielfach auch gewalttätigen) separatistischen Protestes oder auch nach dem konkreten Erfolg bzw. Misserfolg der entsprechend artikulierten Anliegen.

Diese Tagung möchte sich hingegen auf die zentrale Rolle konzentrieren, die Emotionen im Denken und Handeln der Akteure sowie in der Wahrnehmung separatistischer Bestrebungen durch die allgemeine Öffentlichkeit spielen. Der Ruf nach Selbstbestimmung oder Unabhängigkeit ist vornehmlich Teil der Programmatik einzelner nationaler und regionaler Minderheiten sowie diverser imagined comunities, die als eine Art ‚Nationen ohne Staat‘ nach Unabhängigkeit streben. Im Rahmen der Tagung geht es deshalb um die Bedeutung des komplexen Zusammenspiels von Emotionen und Interessen, von medialisierten Botschaften und politischen (Protest-)Aktivismen im Kontext autonomistischer und separatistischer bzw. sezessionistischer Bestrebungen.

In dem skizzierten Zusammenhang spielen drei Themenbereiche eine besondere Rolle, die anhand verschiedener Fallbeispiele – vor allem auch vergleichend – diskutiert werden sollen:

  1. Die Frage nach dem Wesen der Akteure bzw. Akteursgruppen, die den Separatismus als (politische bzw. gesellschaftliche) Bewegung oder Sympathisanten repräsentieren. Welche Rolle spielen Emotionen für die jeweilige Unabhängigkeitsbewegung als Protestbewegung selbst – etwa für die Mobilisierung der eigenen Anhänger bzw. die innere Vergemeinschaftung zur Schaffung einer emotional comunity (Barbara Rosenwein)? Welche kurz-, mittel- und langfristigen Faktoren befördern Dispositionen zugunsten des Separatismus? Welche konkreten Praktiken und welche situativen Ereignisse gehen bei Gruppen und Individuen mit einer emotionalen Aufladung einher? Inwiefern führt diese Emotionalisierung wiederum zu einer Radikalisierung der separatistischen Initiativen und Projekte?
  2. Die Frage nach den Inhalten, Techniken und Medien der Emotionalisierung im Rahmen einer emotionszentrierten Analyse separatistischer Unternehmungen und ihrer Vorstellungswelten. Welche institutionellen (z. B. Sprachpolitik), diskursiven (z. B. Geschichtspolitik und erinnerungskulturelle Deutungen), performativen (z. B. Aufmärsche und Demos) und visuell-medialen (z. B. Pressekampagnen und PR-Formate) Mittel werden aufgeboten, um Stimmungen zu erzeugen bzw. zu provozieren und emotionale Gemeinschaften zu formen oder zu stabilisieren? Und wie ist die Bedeutung emotionaler Komponenten für bestimmte Eskalationen – gleichsam als ‚Momente des Separatismus‘ – einzuschätzen? Es ist auffällig, dass die ‚emotionale Energie‘ regionaler Unabhängigkeitsbewegungen in ganz essenzieller Weise durch die visuelle Protestkommunikation forciert wird. Eine entsprechend zentrale Rolle für den Emotionalisierungsprozess kommt deshalb Ritualen, Symbolen, Emblemen, Bildern und (auch visuell hervorgekehrten) historischen Bezugnahmen und Vergangenheitsprojektionen zu.
  3. Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer vergleichs-, verflechtungs- und transfergeschichtlichen Fokussierung regionaler Autonomieprojekte und Separatismen stellen. In welchem Verhältnis stehen regionale Unabhängigkeitsbewegungen zueinander? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich mit Blick auf die Verflechtungsmechanismen und konkreten reziproken Transfers gerade auch in Bezug auf die praktizierten Emotionalisierungsstrategien beobachten? Und in welcher (vielfach krisenhafter) Verbindung stehen regionale Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen zu übergeordneten staatlichen Einrichtungen oder auch supranationalen Repräsentanten wie der EU?

Die Tagung findet am 11. und 12. November 2022 an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Bozen am Universitätsstandort Brixen/Bressanone (Südtirol) statt. Die Tagung wird vom Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte der Freien Universität Bozen (Prof. Oswald Überegger) und dem Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin (Prof. Birgit Aschmann) organisiert. Die Organisatoren kommen für Hotelkosten (2 Übernachtungen in Brixen) und Reisespesen (im Ausmaß eines Maximalbetrags von 250 € pro Referent*in) auf. Beitragsvorschläge (Abstracts mit kurzer Biobibliographie im Ausmaß von ca. 1 Seite) werden bis 15. März 2022 mit dem Betreff-Vermerk „Tagung Emotionsgeschichte“ an folgende E-Mail-Adresse erbeten: regional.history@unibz.it. Die Abstracts können in deutscher oder englischer Sprache verfasst sein. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch mit Simultanverdolmetschung in beide Sprachen.

Grafik Call for Papers

Teilen

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.